Der Geist: Wurzel von Leid und Glück
Wir besitzen mit unserem Körper und unserem Geist die Grundlagen, das Ziel des Zustandes eines Buddha, den Zustand der vollständigen Erleuchtung zu erreichen. Wenn wir auf der Grundlage von Körper und Geist durch die Führung eines geistigen Meisters, der uns den richtigen Weg zeigt, die entsprechenden Anstrengungen aufbringen, dann ist es zweifellos möglich, dieses Ziel zu erlangen.
Weshalb fällt es uns schwer, diese Qualitäten in unserem Geist wirklich hervorzubringen, auch wenn wir es uns wünschen? Ich denke, dies liegt - wie auch bei mir - an den vielen Hindernissen, an den vielen entgegengesetzten Neigungen, die im Geist vorhanden sind. Der Zustand des Buddha ist nichts anderes als ein Zustand des Geistes, in dem die Qualitäten von Wissen, Erbarmen und Kraft bis zur Perfektion entwickelt worden sind. Dieser Zustand des Geistes, in dem alle diese Qualitäten ein unübertreffliches, vollständiges Maß erreicht haben, wird als Zustand der Erleuchtung, als Zustand des Buddha bezeichnet.
Ein solcher Zustand des Geistes wird nicht auf einmal und ganz plötzlich erlangt, so als ob man in einem Augenblick aufwachen würde. Vielmehr ist dies ein Zustand, der durch ein schrittweises Entwickeln der Qualitäten erreicht wird. Man gewöhnt den Geist daran, diese Qualitäten zu steigern, sie in geringen Maßen immer weiter zu entwickeln bis zu einem solchen Zustand der Perfektion. Wenn ein Baum wächst, dann geht das auch nicht von heute auf morgen, es ist vielmehr ein Vorgang, bei dem aus einem Samen ein kleiner Sprössling kommt, den man hegen und pflegen muss, damit er langsam immer größer und stärker wird, um dann im Laufe vieler Jahre zu einem sehr großen, mächtigen Baum heranwachsen zu können. Und so ist auch der Zustand des Buddha etwas, das in einem Schritt für Schritt wie das Wachstum eines Baumes entstehen kann.
Einerseits ist es eine schrittweise Entwicklung des Geistes, andererseits stehen dieser Entwicklung die hindernden Faktoren des Geistes im Weg. Obwohl wir den Wunsch haben, einen solchen Zustand zu erreichen, sind es diese hindernden Faktoren, die uns den Fortschritt erschweren. Wenn ich meinen eigenen Geist betrachte, dann sehe ich Ichbezogenheit, grundlegende Unwissenheit, Begierde, Hass und Eifersucht - lauter solche Fehler. Unter dem Eindruck dieser Fehler kommt man manchmal auf den Gedanken, dass es vielleicht gar nicht möglich ist, den Geist überhaupt zu entwickeln und sich von ihnen zu befreien. Aber das ist nicht so. Es ist durchaus möglich, eine Veränderung zu erreichen, denn so wie Buddha es deutlich gemacht hat, sind diese Fehler des Geistes nicht Teil seiner Natur, und da sie nicht Teil seiner Natur sind, ist es möglich, den Geist im Laufe der Zeit auch von ihnen zu trennen. Dass die Fehler des Geistes nicht Teil seiner Natur sind, ist einer der ganz besonders wichtigen Punkte der Auffassungen des Buddhismus. So hat Buddha Maitreya im Sutra-Alamkara deutlich gemacht:
Die Natur des Geistes ist klares Licht. Die Fehler sind temporär.
Ganz gleich, wie stark diese Fehler also erscheinen mögen, sie sind nicht Bestandteil der Natur des Geistes, und weil sie nicht Bestandteil der Natur des Geistes sind, kann der Geist entwickelt und von ihnen befreit werden. Das zu verstehen ist für uns sehr wichtig. Denn wenn diese Fehler ein Teil der Natur des Geistes wären, dann könnten wir uns anstrengen, soviel wir wollten - eine Veränderung unserer Situation wäre nicht erreichbar. Dann bestünde das einzige Mittel, diese Fehler zu zerstören, darin, den Geist zu zerstören. Eine Zerstörung des Geistes ist jedoch ebenfalls nicht möglich.
Wäre es unmöglich, von den Fehlern des Geistes freizukommen, dann käme das dem Versuch gleich, ein Stück Kohle weiß zu machen. Ein Stück Kohle mit Wasser zu waschen, um es weiß zu machen, ist eine unlösbare Aufgabe, weil die schwarze Farbe ein Teil der Natur der Kohle ist. Auch wenn man ein grünes Blatt von seiner grünen Farbe trennen will, und es zu diesem Zweck fleißig mit Seife wäscht, wird das nicht zum Ziel führen, sondern lediglich eine Zerstörung des Blattes zur Folge haben.
Wenn hingegen ein Kristall oder ein Edelstein, den wir aus der Erde bergen, von verschiedenen Farben oder Unreinheiten überdeckt ist, dann können wir die reine Natur des Kristalls oder Edelsteins hervorbringen, indem wir die Unreinheiten, die außen um das Objekt liegen, vom ihm loslösen. Auch wenn noch so starke Farben außen auf dem Objekt haften mögen, können wir es mit den richtigen Gegenmitteln von diesen Farben befreien. In entsprechender Weise sind die Fehler des Geistes kein Teil seiner Natur. Aus diesem Grund gibt es die Möglichkeit, den Geist von diesen Fehlern zu befreien, wenn wir die richtigen Gegenmittel anwenden. Da der Geist aller Wesen eine solche Natur hat, können sie sich von den Fehlern ihres Geistes loslösen, wenn sie die entsprechenden Anstrengungen aufbringen.
Jedes Objekt, das einen solchen geistigen Strom, ein solches geistiges Kontinuum besitzt, das in der Natur frei von Hindernissen ist, wird als ein „fühlendes Wesen“ bezeichnet. Und diese Eigenschaft des Geistes solcher Wesen, in seiner Natur frei von Hindernissen zu sein, wird auch als „Same des Buddha“, „Same der Erleuchtung“, „Natur des Buddha“ oder „Essenz des Buddha“ bezeichnet. In den Sutras findet man den Ausdruck „Tathagathagarba“. „Tathagatha“ bezieht sich auf Buddha und „garba“ auf Essenz. „Tathagatha“ bedeutet „So Gegangener“ und meint den Buddha. Buddha wird so bezeichnet, weil sein Geist einen Punkt erreicht hat, in dem er ständig auf die letztliche Natur aller Objekte gerichtet ist und aus diesem Erfassen der letztlichen Natur nie mehr austritt. Das „So“ bezieht sich auf die letztliche Natur aller Objekte und „Gegangener“ darauf, dass Buddha in diese Erkenntnis der letztlichen Natur aller Objekte eingedrungen ist, ohne sie jemals wieder zu verlassen. Er tritt also nicht manchmal in diese Erkenntnis ein und muss sie dann auch wieder verlassen, sondern verweilt ständig in diesem Erkennen. Deshalb heißt es „Gegangen“: vollständig in diese Erkenntnis gegangen. Dies ist der Grund, warum eine von den vielen Bezeichnungen, die es für den Buddha gibt, der Ausdruck „Tathagatha“ ist. Und so wird hier von „Tathagathagarba“ gesprochen. „Garba“ heißt „Essenz“, der ganze Ausdruck bedeutet also „Essenz des so Gegangenen“, „Essenz des Buddha“ und bezieht sich auf die Natur des Geistes, die frei von Hindernissen ist.
Eine solche Essenz des Buddha, einen solchen Samen des Buddha haben alle Wesen, haben wir alle, und wenn wir uns fragen, was darunter zu verstehen ist, dann ist es diese Eigenschaft des Geistes, in seiner Natur frei von den Hindernissen zu sein. Weil der Geist solche Qualitäten hat, ist es möglich, durch richtiges Verhalten und richtige Bemühungen den Zustand der Vollen Erleuchtung zu erlangen. Das ist auch der Grund, warum es heißt, dass jedes Wesen das Potential hat, die Volle Erleuchtung zu erreichen.
Obwohl es nicht das eigentliche Thema dieser Unterweisungen ist, den Zustand der Vollen Erleuchtung zu beschreiben, fand ich es doch passend, kurz diese Erklärungen in Verbindung mit den Eigenschaften des Geistes zu geben. Man kann die Natur des Geistes auch mit der Analogie des Himmels beschreiben. Der Himmel ist in seiner Natur frei von Verunreinigungen oder Hindernissen. Durch den Dunst, der von den Ozeanen oder der Erde aufsteigt, treten jedoch immer wieder weiße oder schwarze Wolken auf, die nicht Teil der Natur des Himmels sind, die ihn aber verdecken und auch ganz verdüstern können. Heutzutage haben wir nicht nur Wolken aus Dunst, sondern auch noch aus anderen Substanzen, die wir als sehr schmutzig betrachten. Das ist eine Errungenschaft unserer Zeit. Gerade herrscht allerdings ein außerordentlich schönes Wetter und der Himmel ist von keinerlei Wolken verdeckt. Nicht so vor einigen Wochen - da war der Himmel noch mit Wolken gänzlich gefüllt. Wenn diese Wolken ein Teil der Natur des Himmels wären, dann wäre das heutige Wetter unmöglich. Weil sie es aber nicht sind, können sie zwar durch das Zusammenkommen von Ursachen und Umständen entstehen, treten jedoch entsprechende Gegenmittel wie starke Winde auf, dann werden sie auch wieder weggeblasen und es kann ein so herrliches, klares Wetter aufziehen, wie wir es heute erfahren.
Wenn die entsprechenden Umstände im eigenen Geist auftreten, kann auch das manchmal sehr schlechtes Wetter nach sich ziehen. Dann haben wir es nicht nur mit dunklen, schwarzen Wolken und heftigen Stürmen zu tun, sondern sogar mit Tornados und allem Erdenklichen. All dies ist allerdings nicht Teil der Natur des Geistes und kann deshalb auch wieder zum Verschwinden gebracht werden. Tritt ein entsprechend starker Wind auf, im Himmel und nicht außerhalb, dann bläst er die Wolken und Verdeckungen wieder weg. Entsprechend ist auch der Sturm im eigenen Geist zum Verschwinden zu bringen, wenn die Winde der Weisheit, des Erbarmens, der reinen Liebe und so weiter in entsprechender Stärke auftreten. Sie entfernen die Verunreinigungen im Geist.
Wollen wir die Natur, die Eigenschaften des Geistes in grober Weise kurz beschreiben, dann wären das einige passende Beispiele, die zu einem Verständnis verhelfen können. Kurz gesagt ist der Geist etwas äußerst Wichtiges. Wir können ihn sogar durchaus als das Allerwichtigste bezeichnen. Was immer einen solchen Geist besitzt, ist ein fühlendes Wesen. Ein Objekt, das keinen solchen Geist besitzt, ganz gleich, ob es groß oder klein ist, ist nicht als fühlendes Wesen zu betrachten. Besitzt ein Objekt hingegen einen solchen Geist, mag es groß sein oder gar so klein, dass man es nicht einmal mit den Augen wahrnehmen kann, dann ist es ein fühlendes Wesen.
So ist der Unterschied, ob ein Objekt ein fühlendes Wesen ist oder nicht, auf der Grundlage des Vorhandenseins eines solchen Geistes zu erstellen. Auf Sanskrit wird dafür der Ausdruck „Sattwa“ verwendet, im Tibetischen „sem tschen“, was nichts anderes bedeutet als „Geisthaber“. Wenn wir also den deutschen Ausdruck „Wesen“ verwenden, dann ist das die Übersetzung von „Sem Tschen“ oder „Sattwa“ im Sinne von „fühlendes Wesen“ oder „Geisthaber“. Dass von allen Objekten, die es gibt, diese Wesen zu den allerwichtigsten und wertvollsten Objekten gehören, wird durch nichts anderes bewirkt als dadurch, dass sie Objekte sind, die einen Geist besitzen.
Es gibt unendlich viele Objekte, die der Buddhismus in sehr aufwändiger Weise unterteilt und klassifiziert, beispielsweise in beständige und unbeständige Objekte. Aus dieser großen Zahl der Objekte gibt es eines, das das allerwichtigste Objekt ist, eines, das die größte Bedeutung hat, und das sind die Wesen. Sie sind die wichtigsten aller existenten Objekte, und in Bezug auf sie erst werden die anderen Objekte bedeutungsvoll. Ohne den Bezug zu ihnen ist alles andere Existierende bedeutungslos. Alle Wertzuschreibungen, alle Beurteilungen von Dingen und Handlungen, die wir ausführen, stehen in Bezug zu den Wesen. Ohne diesen Bezug gibt es keine sinnvolle Bewertung anderer Objekte. So sprechen wir davon, dass etwas gut oder schlecht ist, passend oder unpassend, richtig oder falsch, und ganz gleich, ob wir von weltlichen oder religiösen Zusammenhängen sprechen - alle diese Klassifizierungen haben ihre Bedeutung nur im Bezug zu den Wesen. Ohne diesen Bezug gibt es keine sinnvolle Klassifizierung.
In allen Erklärungen, in allen Unterweisungen des Buddhismus ist ausschließlich die Rede von den Wesen, von ihrer Situation, von den Möglichkeiten, diese Situation zu verändern, von Zielen, die sie zu diesem Zweck anstreben können. Ausschließlich dies sind die Inhalte der Erklärungen des Buddha. Es gibt keine anderen Themen. Wenn wir von der Befreiung oder vom Zustand der Vollen Erleuchtung sprechen, dann ist das ein Freiwerden der Wesen, ein Zustand der Perfektion der Wesen. Ohne Bezug zu den Wesen haben solche Ausdrücke wie „Befreiung“ oder „Erleuchtung“ keine Bedeutung.
Wir neigen manchmal dazu, die Wesen als etwas weniger Wichtiges oder Unbedeutendes zu vernachlässigen und im Gegensatz dazu den Zustand der Erleuchtung, die Buddhas und so weiter als etwas sehr Wichtiges ins Zentrum zu rücken. Das ist eine falsche Auffassung, denn ohne den Bezug zu den Wesen können wir nicht einmal vom Zustand der Erleuchtung sprechen. Der Zustand der Erleuchtung ist einer, der nur durch die Veränderung des Zustandes eines Wesens entsteht. Von Erleuchtung kann man also nur in Hinsicht darauf reden, dass der Zustand eines Wesens in einer sehr korrekten und wertvollen Art und Weise verändert worden ist. Der Grund, weshalb ein solcher Zustand angestrebt wurde, ist auch kein anderer, als die Notwendigkeiten der Wesen zu erfüllen. Sie stehen also auch hier wiederum im Zentrum. Gleichfalls ist die Möglichkeit, den Zustand der Vollen Erleuchtung zu erlangen, erst durch das Vorhandensein der Wesen gegeben.
Wenn wir also von einer Anwendung des Dharma sprechen, dann ist das Ziel, das Objekt dieser Bemühungen der Anwendung von Dharma nichts anderes als die Wesen, und das Dharma selbst ist ebenfalls nichts anderes als eine Beschreibung des Zustandes dieser Wesen. Dharma steht in direktem Bezug zu den Wesen, denn die Essenz aller Anwendungen von Dharma ist das Vermeiden umheilsamer Handlungen und das Befolgen heilsamer Handlungen. Wenn davon die Rede ist, umheilsame Handlungen zu vermeiden, bedeutet das nichts anderes, als solche Handlungen zu vermeiden, die den Wesen Schaden zufügen. Wenn hingegen von heilsamen Handlungen gesprochen wird, geht es einzig darum, Dinge zu tun, die den Wesen wirklichen Nutzen bringen. Das ist die Essenz der Anwendung von Dharma, und das Perfektionieren dieser Bemühungen führt zur Erlangung des Zustandes, den wir als „Erleuchtung“ bezeichnen.
Erbarmen und Liebe, Geduld und Weisheit sind Eigenschaften, die in Bezug zu einem bestimmten Objekt entwickelt werden, und dieses Objekt sind die Wesen. Ohne dieses Objekt gäbe es kein Erbarmen, keine Liebe, keine Geduld und auch keine Weisheit, die zu entwickeln wären. Das Zentrum aller Unterweisungen des Buddha ist nichts anderes als die Wesen. Aus diesem Grund versuche ich immer wieder, deutlich zu machen, dass nicht der Buddha oder eine andere Gottheit im Zentrum des Buddhismus stehen, auch nicht irgendeine bestimmte Philosophie, sondern dass einzig die Wesen dieses Zentrum des ganzen Buddhismus ausmachen. Buddha eine außerordentlich große Anzahl von Unterweisungen der Sutras und der Tantras gegeben: alle stehen in direktem Bezug zur Situation der Wesen. Es gibt keine Unterweisung, keine Erklärung des Buddha, die keinen solchen direkten Bezug zu den Wesen hat.
Wir denken manchmal, dass es durchaus Dinge gibt, die wertvoller sind als die Wesen, zum Beispiel Gold, Silber oder Edelsteine, Diamanten und so weiter. Dem ist jedoch nicht so. Die Tatsache, dass diese Objekte als wertvoll betrachtet werden, wird nur mit Bezugnahme auf die Wesen verständlich. In diesem Fall handelt es sich zudem um eine Projektion der Menschen. Einzig die Projektionen der Menschen sind es, die solche Objekte zu etwas Wertvollem machen. Abgesehen davon haben diese Substanzen an sich keinerlei Wert, denn sie nützen einem nichts, beispielsweise wenn man hungrig ist und sie essen wollte. Wenn es einem kalt ist, werden diese Substanzen auch nicht helfen, das Frieren des Körpers zu unterbinden. Sie haben also keinen direkten Nutzen für die Wesen. Nur innerhalb des Ablaufs der menschlichen Gesellschaft, der recht kompliziert ist, gibt es indirekt einen gewissen Wert, der solchen Substanzen zugeordnet wird, weil sie etwas schwerer zu beschaffen sind und nicht allzu häufig vorkommen. So erlangen sie dann im Handel einen gewissen Wert. Etwas Wertvolles für sich aufzubewahren, das andere nicht haben - dieser Gedanke, diese Idee liegt der Wertzuschreibung zugrunde.
Wenn man einen Menschen fragt, was er wohl als wertvoller ansieht - einen großen Diamanten oder einen Menschen -, dann kann man vielleicht eine gewisse Hoffnung hegen, dass er sagt, der Mensch sei wertvoller, wobei auch das nicht so sicher ist. Wenn man aber fragt: „Was betrachtest Du als wertvoller: einen großen Diamanten oder ein Tier?“, dann werden wohl die meisten Menschen den Diamanten wählen und das Tier in keiner Weise als etwas Wertvolles ansehen. In Wirklichkeit verhält es sich jedoch umgekehrt: Einen viel größeren Wert hat das Wesen, das Tier in diesem Fall. Denn wenn man von einem wirklichen Wert spricht, dann gibt es nichts, was einen größeren Wert hat als die Wesen, wobei alle Wesen den gleichen großen Wert haben. Im Vergleich zu den Wesen mag man Dinge betrachten, wie man will - es gibt nichts, was auch nur einen annähernden Wert hat wie die Wesen.
Und was ist es, das die Wesen so wertvoll macht? Es ist der Geist, der Besitz des Geistes, der diesen Objekten einen solchen außerordentlichen Wert verleiht, denn unser Verhalten gegenüber einem anderen Wesen bestimmt oder erzeugt das, was wir als „Karma“ bezeichnen. Unser Verhalten gegenüber unbelebten Objekten hingegen erzeugt kein Karma in dieser Weise. Denn selbst wenn ein kleines Wesen, ein kleines Tier getötet wird, häuft die Person, die es tötet, dadurch eine negative Handlung an. Damit ist ein negatives Karma erzeugt. Durch dieses negative Karma hat man diesem Wesen nicht nur etwas sehr Schwerwiegendes und Leidvolles zugefügt, sondern gleichzeitig auch eine Ursache gesetzt, die sehr unangenehme, leidvolle Erfahrungen für einen selbst in der Zukunft bewirkt.
So verhält es sich bei negativen Handlungen. Entsprechend, wenn wir mit guter Absicht einem Wesen gegenüber etwas Positives tun, dem Wesen nützen oder helfen, sei es auch nur, indem wir etwas zu essen geben, dann ist damit ein positives Karma, ein positives Potential erzeugt. Das Wesen selbst wird durch eine solche Handlung im Moment Wohlergehen erfahren. Das ist jedoch nicht die einzige Wirkung. Durch das Geben, die Großzügigkeit in diesem Beispiel, wird auch die Person, die gibt, entsprechende positive Konsequenzen in der Zukunft erfahren.
Im Bezug zu Wesen entstehen in dieser Weise Handlungen und entsprechende Konsequenzen oder Resultate, die durch die Handlungen erfahren werden. Verhalten gegenüber anderen Objekten, die keine Wesen sind, haben keine entsprechenden Wirkungen. Wenn wir zum Beispiel eine Tasse zerstören, dann hat das Zerstören der Tasse allein keine solche weitreichende Wirkung. Wenn man mit diesem Gedanken aber gleich hergeht und die Tasse zerschlägt, dann ist dies dennoch nicht gerechtfertigt, denn die Tasse hat vermutlich einen Besitzer und die Zerstörung der Tasse wird ihm weh tun. In dieser Weise schadet man dem Besitzer. Dies ist der Grund, weshalb das Zerstören der Tasse nicht gerechtfertigt ist, obwohl die Zerstörung des Objektes diesem Objekt selbst kein Leid zufügt. Der Besitzer dieser Tasse ist ein Wesen und es ist durchaus möglich, dass dieser Besitzer Schaden nimmt, wenn man seine Tasse zerstört. Davon abgesehen hat das Zerstören solcher Objekte, die keinerlei Geist besitzen, keine negative Wirkung und erzeugt kein negatives Potential.
So sieht man, dass die Wesen keine nebensächlichen Objekte sind, da das Verhalten gegenüber diesen Wesen außerordentlich schwerwiegende Bedeutung hat. Und wodurch entsteht diese schwerwiegende Bedeutung? Sie entsteht dadurch, dass diese Objekte Geist besitzen. Wenn Geist vorhanden ist, dann gibt es die Erfahrung von Glück, ebenso wie die Erfahrung von Leid. Weil wir Geist besitzen, machen wir die Erfahrungen von Glück und Leid. Besäßen wir keinen Geist, gäbe es auch keine Erfahrungen von Glück und Leid. Weil wir Geist besitzen, sind wir in der Lage, Objekte zu erkennen. Ganz gleich, ob dies nun in richtiger oder falscher Weise geschieht - es ist doch immer unser Geist, der es uns ermöglicht, Objekte zu verstehen.
Das wird in den nächsten Tagen noch genauer zu beschreiben sein. Es ist aber das Vorhandensein dieses Geistes, das es uns möglich macht, Objekte erkennen und zu verstehen. Unter den verschiedenen Zuständen, die im Geist auftreten, gibt es solche, die ihr Objekt richtig verstehen und solche, die ihr Objekt falsch verstehen. Die grundlegende Fähigkeit jedoch, Objekte überhaupt zu verstehen, haben wir nur, weil wir einen Geist besitzen.
Dies ist eine ganz allgemeine Beschreibung des Geistes. Ein Wesen hat nicht nur einen Geist, sondern auch die Fähigkeit zu sprechen und einen Körper. Von diesen dreien, Geist, Rede und Körper, ist auch wiederum der Geist das Entscheidende. Es gibt zwar Wesen, die keinen Körper besitzen - darüber ist im weiteren Verlauf auch noch etwas zu sagen -, im Allgemeinen jedoch haben die Wesen diese drei Attribute. Auch von den Handlungen, die wir ausführen, gibt es drei Arten: geistige, verbale und körperliche Handlungen. Das Tun ist nicht eine Eigenschaft des Geistes allein. Im Buddhismus sprechen wir von „Karma“, was nichts anderes bedeutet als das Ausführen von Handlungen des Körpers, der Rede und des Geistes. Wenn man sich fragt, welches von diesen dreien das Entscheidende ist, dann ist es ganz eindeutig der Geist, während Rede und Körper wie seine Diener sind.
Unter den Handlungen des Körpers gibt es zum Beispiel die Handlung des Gebens, was eine positive Handlung ist, ebenso die Handlung des Stehlens, eine negative Handlung. Diese körperlichen Handlungen des Gebens oder des Stehlens kommen jedoch nicht von selbst, sondern entstehen durch eine entsprechende geistige Regung. So tritt zuerst eine bestimmte geistige Einstellung auf. Daraus entsteht die Absicht, etwas Entsprechendes zu tun. Diese Absicht führt dann zum eigentlichen Tun durch die Fähigkeit der Rede oder die Handlungen des Körpers.
Auf diese Weise entsteht zum Beispiel der Gedanke, einem Menschen etwas Gutes zu tun. Dann überlegt man sich, wie man das tun will und kommt auf den Gedanken, der Person etwas zu geben, etwas zu schenken. Das ist dann die Absicht, dem Menschen durch das Geben von Gegenständen zu nützen. Im Geist erscheint also zunächst diese Motivation, dem Menschen zu nützen, indem man ihm etwas schenkt. Dann wird dieser Gedanke weiter dazu führen, eine ganz konkrete Handlung auszuführen, zum Beispiel der Person etwas zu essen oder Geld zu geben. Diese Entschlossenheit, der Person etwas Entsprechendes zu geben, ist es, was als „geistige Handlung“ oder „geistiges Karma“ bezeichnet wird. In dem Moment, in dem dieser Entschluss im Geist aufgetreten ist, ist auch das geistige Karma ausgeführt und die geistige Handlung zustande gekommen. Wenn aus der Tiefe der eigenen Entschlossenheit dieser Gedanke auftaucht, der Person etwas zu geben, ist das geistige Karma, die geistige Handlung ausgeführt, denn das Geben ist an und für sich eine geistige Aktivität. So ist das Geben nicht davon abhängig, mithilfe des Körpers der anderen Person etwas Materielles zu übergeben.
Auch eine sehr arme Person kann zum Beispiel, wenn sie jemand anderen in einer schwierigen Lage sieht, den Gedanken haben: „Wenn ich doch etwas hätte. Dann würde ich jetzt unbedingt helfen und der Person etwas geben.“ Allein dieser Gedanke ist schon die geistige Handlung des Gebens. Sie ist damit schon zustande gekommen. Somit ist die geistige Handlung von der Substanz, die gegeben wird, nicht abhängig.
Milarepa war einer der bedeutendsten Yogis Tibets. Er besaß nichts, lediglich ein weißes Tuch, mit dem er seinen Körper nicht einmal ganz bedecken konnte. Er hatte auch kaum etwas zu essen, und dennoch brachte er die Fähigkeit des Gebens zur Vollendung, weil er Geiz und Begierde gänzlich aus seinem Geist entfernte und die Einstellung, unterschiedslos alles, sogar seinen Körper, zu geben, bis zu einem perfekten Punkt entwickelte. Zweifellos gibt es auch andere Arten des Gebens, wie zum Beispiel das Geben des Dharma. Milarepa führte dies in einem unvergleichlichen und überwältigendem Maß aus, und obwohl er nichts Materielles zu geben hatte, brachte er die Qualität des Gebens von Materialem ebenfalls zur Perfektion.
So sieht man, dass die eigentliche Anwendung des Gebens nicht vom Besitz äußerer Substanzen abhängig ist, sondern davon, ob der eigene Geist diese entsprechende Eigenschaft aus einer uneigennützigen Einstellung heraus entwickelt oder nicht. Wenn auf der Grundlage einer solchen Auffassung dann auch mit dem Körper tatsächlich Substanz gegeben wird, dann entsteht dadurch auch das körperliche Geben als etwas sehr Nützliches.
So muss man sich weiter fragen, ob allein durch das Weggeben von Gegenständen mit dem Körper die Handlung des Gebens ausgeführt ist oder nicht. Darauf ist die Antwort, dass das nicht sicher ist. Wenn das geistige Geben hinter der Handlung steht, dann ist die körperliche Handlung auch ein körperliches Geben. Besteht eine ehrliche Absicht, dem anderen zu nützen und werden auf dieser Grundlage dann mit dem Körper Objekte gegeben, dann ist wirklich eine Handlung des Gebens vorhanden. Wenn hingegen jemand sehr großzügig Dinge austeilt, dabei aber andere Gedanken im Hintergrund sind - zum Beispiel der, dadurch als großzügiger Mensch bekannt und berühmt zu werden; oder der, dass die anderen dadurch zu Dank verpflichtet sind und sich an einen immer in Dankbarkeit erinnern werden; oder gar der Gedanke, durch dies großzügige Verhalten die Wahlen zu gewinnen -, dann ist diese Handlung keine Handlung des Gebens. Von außen gesehen erscheint dies wie ein großzügiges Verhalten, in Wirklichkeit jedoch betreibt diese Person Handel.
Die Handlung ist also nicht durch das körperliche Verhalten bestimmt, die Handlung des Gebens nicht durch das Weggeben von Substanzen durch den Körper, sondern die geistige Auffassung bestimmt, ob die entsprechende Handlung ein Geben ist oder nicht. In gleicher Weise verhält es sich auch mit dem Geben von Dharma. Wenn zum Beispiel eine Person Unterweisungen des Dharma gibt mit der Absicht, den Zuhörern wirklich von Nutzen zu sein, dann wird das ein wirkliches Geben von Dharma, und dann sind auch nur ein Wort oder wenige Worte des Ratschlags ein sehr wertvolles Geben von Dharma. Wenn dagegen jemand großartige Unterweisungen gibt mit der Absicht, dadurch als großer Gelehrter Berühmtheit zu erlangen, dann ist dies Verhalten kein Geben, sondern wiederum das Betreiben von Handel.
Wir sehen also, dass die Qualität der Handlungen von Körper oder Rede ganz von der Auffassung des Geistes bestimmt wird, die diese Handlungen begleitet. Es gibt viele solcher Anwendungen wie Großzügigkeit, Ethik, Geduld und so weiter. Sie sind alle in erster Linie Qualitäten und Aktivitäten des Geistes. Zweifellos ist es möglich, diese Qualitäten durch Rede und Körper zum Ausdruck zu bringen, und auch gut zum Ausdruck zu bringen, doch das ist nicht das Zentrale. Wir haben zwar eine Fähigkeit der Rede und einen Körper, die Handlungen dieser beiden sind jedoch gänzlich vom Geist abhängig.
Der Grund, weshalb wir vom Morgen bis zum Abend herumspringen und uns bewegen, ist ein entsprechender. Der Teil von uns, der alle diese Strapazen überdauern und sich ständig in Bewegung halten muss, bis er am Abend völlig erschöpft umfällt, ist unser Körper. Das, was unseren Körper so in Bewegung setzt und ihn nicht in Ruhe lässt, ist nichts anderes als unser Geist. Manchmal lässt uns unser Geist gar nicht in Ruhe und führt uns dazu, alle möglichen Dinge zu tun, die wir besser gelassen hätten. Die unangenehmen Konsequenzen dieser Bedürfnisse erfährt dann der Körper. So gehen wir irgendwohin, wo wir eigentlich besser nicht hingegangen wären. Der Geist wünscht an einen bestimmten Ort zu kommen - der Körper geht hin und bekommt dann die entsprechenden Konsequenzen zu spüren. Wir wünschen, Dinge zu sagen, die wir besser nicht sagen würden - die Konsequenzen erfährt dann oft auch der Körper: Es wird peinlich und unangenehm, oder es entsteht Streit und wir erleben die die dazugehörigen Folgen. Wir haben den begeisterten Wunsch, etwas zu essen, das wir nicht vertragen - wir stecken es in den Körper rein und wem dann alles weh tut, das ist unser Körper.
Der Körper hat an und für sich kein Interesse, solche Probleme zu erfahren, aber das, was ihn nicht in Ruhe lässt, ist unser Geist. Er veranlasst den Körper, alles Mögliche zu tun, was er besser sein lassen würde und erfährt die entsprechenden unangenehmen Konsequenzen. Das ist darunter zu verstehen, dass der Körper der Diener des Geistes ist. Manchmal lässt unser Geist auch den Körper solange nicht in Ruhe, bis wir anfangen, mit anderen zu streiten, Krieg zu führen, gefangen werden oder in Kämpfen verschiedene Verletzungen des Körpers, vielleicht sogar den Tod erfahren müssen. Alle diese Konsequenzen sind wiederum nur Wirkungen der geistigen Regungen. Durch die Wirkungen des Geistes also geraten wir mit unserem Körper in solche Verwicklungen.
Umgekehrt ist es aber auch möglich, dass durch richtige Gedanken und Bemühungen des Geistes der Körper Handlungen folgt, die zu angenehmen Wirkungen für andere und für einen selbst führen. Der Ursprung solcher Handlungen, die sehr wertvolle und angenehme Konsequenzen für einen selbst und andere nach sich ziehen, liegt also ebenfalls in den Regungen des Geistes.
Aus diesem Grund sagt der Bodhisattva Schantideva in dem Text Bodhisattvatschariavatara:
In den drei Welten gibt es nichts Erschreckenderes (nichts Gefährlicheres) als den Geist.
Das heißt nicht, dass der Geist eine erschreckende Gestalt oder die Form eines erschreckenden Gespensts hätte. Dies ist nicht der Fall. Wenn Schantideva hier von drei Welten spricht, bezieht er sich auf die geläufige Unterteilung der Welt in Karmadhatu, Rupadhatu und Arupadhatu - den Bereich der Begierde, den Bereich der Form und den Bereich ohne Form. Dies sind die Bereiche, in denen sich alles Leben ereignet. Schantideva sagt nun, dass es in all diesen Bereichen des Lebens nichts Erschreckenderes gibt als den Geist. Denn alles Leid, das in diesen drei Welten auftritt, ganz gleich, wie groß oder klein es ist, sei es nun Leid der Menschen, der Tiere oder irgend eines anderen Wesens in den sechs Daseinsbereichen - wird vom Geist erzeugt.
Wenn wir zum Beispiel von gefährlichen Waffen wie Atomwaffen sprechen, vor denen sich alle fürchten, dann muss einem auch bewusst werden, dass solche Dinge entstanden sind, weil der Geist der Wesen keine Ruhe gegeben hat und sie erfunden hat. Sie zu bauen und in Gewahrsam zu haben sind ebenfalls Wirkungen der Regungen des Geistes, und wenn diese Dinge eines Tages benutzt werden und eine entsprechende Zerstörung anrichten, dann ist es wieder der Geist der Wesen, der sie nicht in Ruhe ließ und zu solchen Handlungen führte. Solch erschreckende Dinge wie Atomwaffen sind nicht etwas, das von selbst entsteht und dann beginnt sein Unwesen zu treiben, sondern es ist der Geist der Wesen, der zu ihrem Entstehen und zu ihrem Wirken führt.
So ist es auch zu sehen, dass alle Auseinandersetzungen und Kriege in der Welt durch den Geist verursacht sind. Wir denken manchmal, dass diese schrecklichen Ereignisse durch böse, schlechte Menschen zustande gekommen sind. Nun, diese Menschen sind nicht aus sich heraus von Anfang an so etwas Negatives oder Schlechtes, sondern es sind vielmehr ihre Gedanken, die gänzlich fehlgegangen sind. Die Aktivitäten ihres Geistes sind auf ein falsches Gleis geraten, was dann zu den erschreckenden Handlungen geführt hat, welche sie für eine lange Zeit als etwas Schlechtes erscheinen lässt. Ganz sicher hatten diese Menschen nicht die Absicht, etwas Übles zu werden oder etwas Schlechtes zu tun. Eine solche Absicht hat kaum ein Mensch. Wenn der Wunsch, etwas Schlechtes zu sein, nicht vorhanden ist, man es aber trotzdem wird, dann ist auch das nichts anderes als ein Resultat der Aktivitäten des Geistes.
Umgekehrt gibt es auch Wesen - Menschen, Bodhisattvas, Buddhas -, die von vielen als unvergleichlich wertvoll betrachtet werden. Zu ihnen nehmen wir Zuflucht als unsere Beschützer, bei ihnen suchen wir Hilfe. Das, was diese Wesen zu so außerordentlich wertvollen Objekten macht, ist ebenfalls nichts anderes als die entsprechende Aktivität ihres Geistes. Es ist nicht so, dass manche ohne Ursachen und Umstände von Anfang an etwas sehr Gutes sind oder ein Wesen ohne Ursachen und Umstände auf einmal zu einem sehr guten und wertvollen wird. Das ist nicht der Fall.
Im Buddhismus sprechen wir von Freiheit und Bedingtem Dasein, von Samsara und Nirvana: Samsara als ein Zustand, in dem Leid erfahren wird und Nirvana als ein Zustand, in dem man gänzlich frei von allem Leid ist. Auch diese Unterscheidung zweier Zustände ist nichts anderes als eine in Bezug auf den Zustand des Geistes eines spezifischen Wesens. So ist Samsara ein bestimmter Zustand des Geistes und eine entsprechende Veränderung dieses geistigen Zustands ist es, was dann als „Nirvana“ bezeichnet wird. Es wäre falsch zu denken, dass es von Anfang an diese zwei unterschiedlichen Objekte gäbe. Ebenfalls falsch ist es sich vorzustellen, dass es von Beginn an irgendwo ein Land wie Samsara und daneben ein Land wie Nirvana gibt. Das ist nicht der Fall. Vielmehr ist es so, dass in Bezug auf eine spezifische Person gesagt werden kann: Wenn der Geist in einem entsprechenden Zustand ist, dann existiert dieses Wesen im Samsara. Wenn der Geist in einem anderen, veränderten Zustand ist, der bestimmte Merkmale erfüllt, dann befindet sich dieses Wesen in einem Zustand, den man als „Nirvana“ bezeichnet. Schließlich bezeichnet man den Zustand, der über diese beiden Zustände des Samsara und Nirvana hinausgeht - der höchste Zustand, den der Geist erlangen kann -, als „erleuchteten Zustand“ oder als „Zustand des Buddha“. Und auch das ist wiederum nichts anderes als ein bestimmter Zustand des Geistes.
Einer der allerwichtigsten Punkte, die im Buddhismus beschrieben werden und die auch der eigentliche Inhalt der Vier Edlen Wahrheiten sind, ist der, dass die Wurzelursache für alles Glück und Leid, das wir erfahren, in uns selbst, im eigenen Inneren liegt, nämlich im eigenen Geist. Alle Erfahrungen, die wir machen, kommen also nicht ohne Ursache und Umstände zustande, sie sind nicht einfach Glück oder Pech, die einem widerfahren. Auch sind diese Erfahrungen keine, die aus einer beständigen Ursache entspringen. Alle diese Ursachen wie auch die Umstände haben die Eigenschaft, Veränderungen zu unterliegen. Es gibt keine Ursachen und Umstände, auf die dies nicht zutrifft. Die Veränderung der Ursache führt zum Entstehen des Resultats, und die Veränderung des Resultats wiederum zu weiteren Resultaten. Es gibt keine beständigen, unveränderlichen Ursachen. Aus einer beständigen Ursache kann kein Resultat entstehen.
Es wäre auch falsch zu denken, dass alle Resultate aus einer einzigen Ursache entstehen. Vielmehr ist es so, dass aus einer großen Zahl unterschiedlicher Ursachen und Umstände eine entsprechende Vielzahl von Resultaten entsteht. Das Glück und Leid, das die Wesen erfahren, ist ein Resultat, und somit braucht es auch eine Ursache, die vor dem Resultat auftritt und es erzeugt.
Buddha macht in den Vier Edlen Wahrheiten deutlich, dass alle diese Erfahrungen von Glück und Leid der Wesen als Ursache ihr Karma haben, die verschiedenen positiven und negativen Handlungen also zu entsprechenden angenehmen und unangenehmen Resultaten führen, und diese Handlungen der Wesen in direkter Verbindung mit den Verblendungen stehen. Demgemäß liegen die Wurzeln aller Erfahrungen von Glück und Leid in einem selbst. Das heißt allerdings nicht, dass sie irgendwo im Magen herumliegen. Vielmehr sind sie im eigenen Geist zu finden. Da wir dies entweder nicht verstehen oder vergessen, denken wir, dass die Ursachen für alle unsere Erfahrungen von Glück und Leid irgendwo draußen, außerhalb unserer selbst sind.
So neigen wir dazu, unseren Finger nach außen zu richten und äußere Dinge für die Schwierigkeiten, die wir erfahren, verantwortlich zu machen. Wir denken: „Er hat das gemacht“, „Sie hat das gemacht“, „Der Nachbar ist schuld“, „Die Gesellschaft ist schuld“, „Der Verein ist schuld“ und so weiter. So sehen wir die Ursache unseres Unbehagens meistens in anderen Wesen. Aber auch unbelebte Objekte müssen als Sündenböcke herhalten. Dann ist das, was unpassend ist, der Ort, an dem man sich aufhält, oder das Land, in dam man lebt, und wenn sonst nichts herhält, ist das Wetter schuld. Wenn partout nichts zu finden ist, haben auch gar nicht so wenig Leute Vorstellungen von irgendwelchen Gespenstern, die ihnen das Leben schwer machen und für ihr Unbehagen verantwortlich sind. Der Vorgang ist dabei immer der gleiche: Man richtet seine Aufmerksamkeit nicht auf die eigentliche, wirkliche Ursache für die Erfahrungen, die man macht, sondern nach außen. Insbesondere andere Wesen halten wir für das verantwortlich, was uns nicht passt. Daraus entsteht dann Ärger und Hass gegenüber diesen anderen.
Zweifellos gibt es manchmal Situationen, in denen das Verhalten anderer wie ein Faktor wirkt, der zu unseren Schwierigkeiten beiträgt. In solchen Fällen sind die Wesen dann auslösende Faktoren, niemals aber die eigentliche Ursache für das Unbehagen, das wir erfahren. Man muss Ursache und Umstände auseinanderhalten. Beide erzeugen Wirkungen, die Ursache ist jedoch das Prinzipielle. Wenn die Ursache nicht vollständig vorhanden wäre, dann könnten alle Faktoren vollständig vorhanden sein, wären aber nicht in der Lage, ein Resultat zu erzeugen.
So hat Buddha deutlich gemacht, dass die eigentliche Ursache für unsere Erfahrungen im eigenen Geist liegt, und zwar in unseren Verblendungen. Auch die großen Meistern der Vergangenheit betonen in ihren Texten zur Schulung des Geistes immer wieder, dass man Eines für alles Unbehagen verantwortlich sollte. Und dieses Eine, dem man alle Schuld geben sollte, ist nicht irgend ein böses Gespenst, kein Dämon, kein Teufel und auch kein böser Mensch, sondern die eigene Ichbezogenheit. Sie ist zwar nicht die einzige Ursache allen Unbehagens - jedoch ist sie die Hauptursache allen Unbehagens. Aus diesem Grunde besteht die Aufforderung dieser großen Meister darin, alle Schuld auf diese eine Ursache zu schieben. So heißt es in diesen Texten zur Schulung des Geistes:
Schiebe die Schuld für alles auf Eines,
Und meditiere über die Güte aller Wesen.
Was damit gesagt wird, ist, dass man verstehen sollte, dass alles, was man an Unangenehmem erfährt, ein Resultat des eigenen Egoismus ist und man sich in Bezug auf die anderen bewusst sein sollte, wieviel man ihrer Güte verdankt. Das ist der Ratschlag. Es heißt nicht: „Alle Probleme, die Du hast, kommen von anderen, also such die Bösewichte und schieb ihnen die Schuld zu.“ Das ist nicht der Ratschlag. Selbst wenn in unangenehmen Erfahrungen, die man macht, eine Verbindung zu anderen Wesen besteht, sind sie immer lediglich Faktoren, jedoch nie die Hauptursache. Diese liegt immer im eigenen Geist. Wenn man auf eine andere Person wütend ist, dann ist diese andere Person ein Faktor, der diese Wut auslöst. Die Ursache liegt in einem selbst, weil man im eigenen Kontinuum das Potential zum Auftreten von Ärger hat, was dann geschieht, wenn die Berührung mit einem entsprechenden Faktor gegeben ist.
Buddha betont also, dass die eigentlichen Ursachen für alle Probleme, die wir erfahren, im eigenen Geist liegen, und dies in erster Linie in der Unwissenheit, die nicht in der Lage ist, die eigentliche Natur der Objekte zu erkennen, dann in der Ichbezogenheit und daraus resultierend in den Faktoren wie Begierde, Hass, Eifersucht, Stolz und so weiter. Alle diese sind Teile des eigenen Geistes, nichts anderes. Wenn diese inneren Ursachen stark sind, die Ichbezogenheit zum Beispiel in einem sehr stark ist, dann werden die äußeren Einflüsse, ganz gleich, ob sie gut oder schlecht sind, in einem leicht störende Wirkungen auslösen und es einem sehr schwer machen, irgendwo Ruhe und Frieden zu finden. Wenn dagegen diese Ichbezogenheit auch nur ein bisschen schwächer ist, dann wird in diesem Maß schon mehr Wohlbehagen möglich sein. Und wenn keinerlei Ichbezogenheit mehr vorhanden ist, dann gibt es auch keine Ursachen für Unbehagen mehr.
Die eigentlichen Ursachen für unsere Probleme sind im eigenen Geist zu suchen, und entsprechend verhält es sich mit dem Glück, das wir ersehnen. Wir sind oft der Meinung, dass das ersehnte Glück in äußeren Objekten und Ursachen zu finden ist, was uns dazu veranlasst, Dinge zu suchen und zu sammeln, Gegenstände in unseren Besitz zu bringen, Freunde zu suchen oder immer mal irgendwohin auszuwandern. So haben wir den Eindruck, dass der Ort, an dem wir uns aufhalten, nicht das ersehnte Glück bringt, also ziehen wir um. Oder man ist der Meinung, dass der Begleiter oder die Begleiterin, die man hat, nicht das ersehnte Glück bringt, also sucht man sich neue Begleiter. Man denkt, dass der Besitz und das Geld, das man hat, nicht das ersehnte Glück bringen, also sucht man mehr und anderes.
Solange man sich jedoch nicht dafür interessiert, was die eigentlichen Ursachen im eigenen Inneren für die Erfahrungen von Glück sind und nicht versteht, was in einem selbst das Glück zerstört, kann man herumziehen, soviel man will, sich neue Freunde und Dinge zulegen, soviel man will - das ersehnte Glück wird nicht zu finden sein. Denn solange man diese starke Ichbezogenheit, die alle Erfahrungen von Glück unmöglich macht, in einem selbst mit sich herumträgt, kann man Glück suchen, soviel man will - diese Ichbezogenheit im eigenen Inneren wird immer mit dabei sein und es einem unmöglich machen, das ersehnte Wohlergehen zu erfahren. Und wenn man sich auf seiner Suche nach immer wieder neuen äußeren Glücksquellen dann auch immer wieder etwas Neues zulegt, dann wird die Faszination des Neuen am Anfang für einige spannende Augenblicke sorgen. Die Faszination bleibt aber nicht, sondern vergeht, und mit ihrem Vergehen wird die neue Glücksquelle ebenfalls versiegen und einem nicht mehr das geben, was man will.
Buddha lehrt auf diese Weise, dass die äußeren Faktoren lediglich Faktoren sind und nicht die eigentliche Ursache für das Glück, das man sucht. Die eigenen inneren geistigen Faktoren stellen diese eigentlichen Ursachen dar. Was wir wirklich benötigen, sind Zufriedenheit, Genügsamkeit, reine Liebe, Erbarmen, Geduld und eine reine Weisheit. Auch das sind Faktoren unseres Geistes, und indem wir ihre Kraft stärken, werden wir das ersehnte Glück erfahren. Wenn wir einerseits diese wertvollen Faktoren in ihrer Kraft stärken und andererseits solche Faktoren wie Begierde, Hass und Ichbezogenheit, die ein Hindernis für das Erfahren von Glück sind, gezielt abschwächen, dann besteht wirkliche Hoffnung auf das Vermehren der Erfahrungen von Wohlbehagen.
Wer sich also ernsthaft nach Glück sehnt, sollte es nicht außen in anderen Objekten suchen, sondern im eigenen Geist die entsprechenden Faktoren entwickeln. Um ernsthaft sein Unbehagen und Leid zu überwinden, sind nicht die bösen Feinde draußen zu bekämpfen, sondern die entsprechenden negativen geistigen Faktoren im eigenen Inneren zu verringern. So sagt der große Meister Schantideva:
Wenn man im eigenen Inneren den Hass besiegt hat,
ist das so, als ob man alle äußeren Feinde überwunden hätte.
Denn das, was wir als Feinde betrachten, kommt so zustande, dass wir den Ärger und Hass im eigenen Inneren auf andere Wesen projizieren und sie dadurch als Feinde sehen. Somit ist das, was wir als Feinde betrachten, nichts anderes als eine Erscheinung oder Projektion unseres eigenen Ärgers. Bezwingen wir dagegen den Ärger im eigenen Inneren, verschwindet damit unsere Projektion und damit gibt es keine Feinde mehr.
Der Meister Schantideva sagt weiterhin, dass man, wenn man den Wunsch hat, alle Wesen zu seinen Freunden zu machen und alle Feinde zu überwinden, versuchen könnte, zu allen Wesen einzeln zu gehen, ihnen Geschenke mitzubringen und ihnen liebe Dinge zu sagen, um sie für sich zu gewinnen. Das wäre jedoch eine unlösbare Aufgabe. Bezwingt man dagegen im eigenen Inneren den Ärger, dann hat dies die Wirkung, dass alle Wesen zu Freunden werden.
Um dies deutlich zu machen, gibt Meister Schantideva folgende Analogie: Wenn man den Wunsch hat, beim Gehen seine Füße nicht durch Dornen oder Ähnliches zu verletzen und mit dieser Absicht die ganze Welt in Leder einpacken will, dann ist das eine unlösbare Aufgabe. Wenn man hingegen seine eigenen kleinen Füße in gutes Leder einpackt, hat das genau die gleiche Wirkung. Wer also die Absicht hegt, alle Wesen zu seinen Freunden zu machen und alle Feinde zu beseitigen, der hat diese Aufgabe im eigenen Inneren zu bewältigen und nicht irgendwo draußen.
Will man darüber hinaus alle Wesen zu seinen allerbesten Freunden machen, dann genügt es nicht, nur Ärger im eigenen Geist zu bezwingen. Hierzu ist es auch notwendig, die Ichbezogenheit, den Egoismus gänzlich zu beseitigen. Gelingt einem das, werden alle Wesen zu den allerengsten Freunden und man selbst wird zu dem, was man „Bodhisattva“ nennt. Bodhisattva zu werden ist also ebenfalls ein Vorgang, der durch ein Verändern des eigenen Geistes, des eigenen Inneren zustandekommt.
So ist es eine sehr wichtige Aussage des Buddha, dass zur Beseitigung allen Leids die Fehler des eigenen Geistes zu beseitigen sind. Wenn man den Wunsch hat, alles Leid zu beseitigen, dann muss man verstehen, dass die Erfahrungen des Leids mit dem Zustand des eigenen Geistes in Verbindung stehen und somit die Ursachen des Leids im eigenen Geit anzugehen sind. Und wenn man den Wunsch hat, Wohlergehen zu erfahren, muss man ebenfalls verstehen, dass das Erfahren von Wohlergehen in Verbindung mit dem eigenen Geist steht und die Ursachen für das Erfahren von Wohlergehen im eigenen Geist zu erzeugen sind.
Solange man das nicht tut, gibt es keine Sicherheit, denn die äußeren Faktoren sind unbestimmt und können sich leicht verändern. So ist es durchaus möglich, dass sich Faktoren, die einem zum einen Zeitpunkt Glück bringen, zu Faktoren werden, die Leid verursachen. Auch umgekehrt kann es sein, dass die selbe Person für den einen ein Faktor des Glücks, für jemand anderen jedoch ein Faktor des Leids ist. Somit sind diese auslösenden Faktoren in keiner Weise bestimmt und haben keinerlei Sicherheit an sich.
Es ist in etwa so, wie verschiedene Menschen auf das Wetter reagieren: Für Personen, die Wärme und Hitze mögen, ist das heiße Wetter ein Faktor, der ihnen Wohlbehagen beschert, für die anderen ist es etwas Unerträgliches. Für solche, die kühles Wetter vorziehen, ist die Kälte ein Faktor, der ihnen Wohlbehagen bringt, während die anderen das gar nicht so angenehm finden.
Die äußeren Faktoren haben also keinerlei Bestimmtheit und Sicherheit, und sogar bei außerordentlich wertvollen, heiligen Objekten verhält es sich so. Die geistigen Meister, Buddhas, Schriften, Tempel und so weiter sind alles Objekte zur Anwendung einer Religion, die an und für sich als etwas sehr Wertvolles angesehen werden. Selbst solche Objekte können für manche Personen ein Faktor für Wohlbehagen, für andere hingegen ein Faktor für Unbehagen sein. Für Personen, die die Bedeutung solcher Objekte verstehen und ein entsprechendes Vertrauen in sie haben, sind sie ein Auslöser von wertvollen Erfahrungen, so dass sie durch den Segen dieser Objekte zu einer sehr positiven Veränderung ihrer Auffassungen gelangen. Für Personen, die kein Vertrauen, sondern vielmehr Abneigung sowie falsche Auffassungen in Bezug auf solche Dinge haben und nicht damit umzugehen wissen, können sie ein Auslöser von Ärger sein. Abgesehen davon, dass ihnen diese Dinge keinen Segen bringen, verstärken sie in ihnen nur noch mehr die Abneigung.
In Indien und auch in Tibet gab es zu bestimmten Zeiten sehr viele Leute, die tiefes Vertrauen in ihre Religion hatten und unzählige Tempel und Repräsentationen geschaffen haben. Später kamen dann Leute, die aufgrund ihrer Abneigung gegen solche Repräsentationen alles zerstörten. So waren die gleichen Objekte für die einen ein Faktor zur Anhäufung von starkem heilsamem Potential, während sie bei anderen äußerst negatives Verhalten auslösten. Selbst solche wertvollen Objekte einer Religion haben also keine Sicherheit und Bestimmtheit in ihrer Wirkung. Auch diese äußeren Faktoren können in der einen Person sehr positive, in einer anderen Person sehr negative Neigungen auslösen.
Dies alles macht deutlich, dass die eigentliche Ursache nicht in den äußeren Objekten, sondern im eigenen Inneren, im eigenen Geist liegt. Das ist auch der Grund, weshalb Buddha betont, dass das eigentliche Objekt, das uns Schutz gibt, Dharma ist. Und was ist unter Dharma zu verstehen? Dharma bedeutet zu erkennen, dass die eigentlichen Ursachen für die Erfahrungen von Leid in unserem negativen Verhalten liegen und dass die eigentliche Wurzel die negativen Faktoren des Geistes sind. Dann bedeutet Dharma, aus diesem Verständnis heraus diese Faktoren zu beschwichtigen und das Fehlverhalten zu unterbinden. Ferner bedeutet Dharma zu verstehen, dass die eigentliche Ursache für das Erfahren von Wohlergehen das korrekte Verhalten ist, aus diesem Verständnis heraus einem richtigen Verhalten zu folgen und die Faktoren des Geistes, die das bestärken, ebenfalls zu entwickeln. Das ist es, was als „Dharma“ bezeichnet wird, und solche Gedanken, solches Verhalten, solche Bemühungen, seinen Geist zu verbessern, bezeichnet man als „Anwendung von Dharma“.
Das tibetische Wort für „Dharma“ ist „tschö“, und das heißt wörtlich „Korrektur“. „Dharma anwenden“ ist dementsprechend mit „Korrektur anwenden“ zu übersetzen. Und was ist zu korrigieren? Das sind nicht irgendwelche Tippfehler, sondern der eigene Geist. Und weshalb sollte der Geist korrigiert werden? Weil wir alle Glück ersehnen. Wir ersehnen uns ein bleibendes, beständiges, unvergängliches Glück, wir alle sehnen uns danach, von allem Leid gänzlich frei kommen. Um diese Wünsche zu erfüllen, ist es notwendig, unseren Geist zu korrigieren.
Alle Wesen, die Menschen genauso wie die Tiere, sind vom Morgen bis zum Abend immer damit beschäftigt, genau das zu erreichen. Das ist das Ziel aller unserer Beschäftigungen, und wenn wir uns fragen, ob die Mittel, die wir üblicherweise anwenden, diese Wünsche auch wirklich gut erfüllen können, dann müssen wir sagen: „Nein, das tun sie nicht“. Manchmal, wenn wir entsprechende Methoden in falscher Weise anwenden, kann sogar das Gegenteil der Fall sein, so dass wir uns nämlich, anstatt das ersehnte Glück zu erreichen, nur noch mehr Schwierigkeiten einfahren. Doch selbst wenn wir diese Mittel richtig anwenden, sind sie nur in der Lage, uns ein gegenwärtiges und sehr beschränktes Glück zu bescheren.
So gibt es viele, die andere täuschen und betrügen, um selbst etwas zu gewinnen. Sie sind dabei der Meinung, mit solchen Mitteln etwas für sich gewinnen zu können. In Wirklichkeit setzen sie so jedoch nur die Ursachen eines noch viel größeren Schadens für sich selbst. Dies sind gänzlich falsche Mittel. Was sind dann richtige Mittel? Wenn wir zum Beispiel krank sind, gehen wir zum Arzt und schlucken Medizin, und wenn wir kein Geld haben, gehen wir Geld verdienen. Das sind korrekte Mittel. Fragen wir uns jedoch, ob das Methoden sind, um eine bleibende Lösung zu finden, dann ist dies zu verneinen. Diese Methoden sind sicher nicht falsch und bringen für den Moment auch das gewünschte Resultat. Sie stellen jedoch lediglich Mittel dar, die eine gegenwärtig brauchbare Konsequenz bringen und sind nicht in der Lage, eine endgültige, bleibende Lösung herbeizuführen.
Wenn man zum Beispiel arm ist und seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann, ist die Bemühung, Geld zu verdienen, sicherlich richtig. Wenn man dann aber keinerlei Zufriedenheit und Genügsamkeit hat und unersättlich immer weiter Geld anhäuft, führt das wieder zu vielen weiteren Problemen und Schwierigkeiten. So bringen unsere üblichen Methoden keine endgültige Lösung, auch wenn sie - gegenwärtig betrachtet - korrekte Mittel sind.
Diese Bemühungen bringen keine endgültige Lösung, weil sie alle Methoden sind, die sich nur auf die äußeren Faktoren richten, jedoch keine Arbeit an den eigentlichen Ursachen unserer Erfahrungen von Glück und Leid darstellen. Dharma wird auf tibetisch „Korrektur“ genannt und die Anwendung von Dharma ist das beste Mittel, um Leid zu beseitigen und die Ursachen für Glück zu erzeugen, weil es die Mittel beinhaltet, die eine Korrektur an den eigentlichen Ursachen im Inneren des eigenen Geistes anbringen.
Wenn wir zum Beispiel auf einem schmalen Pfad immer an einem dornigen Busch vorbeigehen müssen, der unsere Kleider zerreißt und uns kratzt, dann können wir die Zweige abschneiden. Das ist eine gegenwärtige Lösung, denn Zweige werden nachwachsen und uns wieder belästigen. Wenn wir hingegen den dornigen Busch ausgraben, ihn von den Wurzeln her ausreißen, dann ist endgültige Ruhe an dieser Stelle. So befindet sich die eigentliche Wurzel für alle unsere Erfahrungen von Leid im eigenen Geist, ebenso wie die eigentliche Wurzel für alle unsere Erfahrungen von Glück, und die Anwendung von Korrektur, von Dharma, ist das beste Mittel, das ersehnte Glück, die ersehnte Freiheit vom Leid zu erreichen, weil Dharma diese eigentliche Korrektur an den Wurzeln der Erfahrungen von Glück und Leid vornimmt.
Alle diese Zusammenhänge zeigen, dass die eigentliche Wurzel im eigenen Geist liegt. Sie zeigen auch, wie zentral und wichtig der Geist ist. Wir sind gewöhnliche Wesen. Im Gegensatz dazu spricht man von „Bodhisattvas“ oder „Buddhas“. In dieser Weise nimmt man verschiedene Unterteilungen der Wesen vor in gewöhnliche Wesen, Arya-Wesen, Bodhisattvas oder Buddhas. Das, was ein Wesen dem einen oder dem anderen zuordnet, ist keine Unterscheidung in Bezug auf die Körpergröße, die Schönheit, das Aussehen, die Farbe der Haut und auch keine Unterscheidung in Bezug auf das Maß der Ausstrahlung einer Person. Diese Unterscheidung ist einzig ein Maß des Entwicklungszustands des Geistes.
So schätzen wir zum Beispiel das Dasein als Mensch als wesentlich bedeutender und wertvoller ein als das Dasein als Tier. Das ist auch tatsächlich so. Dieser Unterschied ist jedoch keiner, der in erster Linie aufgrund der Körpergestalt des Menschen im Gegensatz zum Tier vorgenommen wird, sondern in Bezug auf die Qualität des Geistes. Denn in Hinsicht auf den Körper gibt es viele Tiere, die den Menschen an Kraft bei weitem übertreffen. Ebenso gibt es viele Tiere, die dem Menschen in Bezug auf die Fähigkeit überlegen sind, im Wasser zu schwimmen, oder in Bezug auf die Fähigkeit fliegen, und auch im Hinblick auf die Schönheit gibt es sicherlich viele Tiere, die wesentlich schönere Körper mit schöneren Farben haben als der Mensch - Vögel, Fische und so weiter mit so attraktiven Körpern wie Blumen. Der Grund, weshalb aber dennoch der Mensch alle diese Tiere überwältigen kann und sie übertrifft, liegt in der Qualität des menschlichen Geistes.
Dies ist auch der Grund, weshalb der Mensch als „der Mächtige des Geistes“, „der Geistmächtige“, oder „der, der einen mächtigen Geist besitzt“ bezeichnet wird. Dass ein kleiner Mensch in der Lage ist, auf dem Kopf eines großen, starken Elefanten zu sitzen und ihn dazu bringt, das zu tun, was er will, liegt nur daran, dass der Geist des Menschen so viel kräftiger und stärker ist als der des Elefanten. Auch dass man als Mensch eine besondere Gelegenheit hat, den Geist zu entwickeln und in der Anwendung von Dharma wirkliche Fortschritte zu machen, liegt in erster Linie an der Kraft und Stärke des Geistes, die man im menschlichen Dasein hat, im Gegensatz zu der im Dasein eines Tieres.
Wir haben also bisher beschrieben, dass von allen Dingen, die es gibt, die Wesen die wertvollsten sind. Die Wesen haben Körper, Rede und Geist. Von diesen dreien ist das Wichtigste, das Entscheidende und Bedeutendste der Geist. Weiterhin haben wir beschrieben, dass die eigentliche Wurzel für alle Erfahrungen von Glück und Leid im Geist liegt. Wir sprachen auch von Samsara, dem Bedingten Dasein als einem leidvollen Dasein. Wie entsteht Samsara, wie kommt es dazu, dass wir in einer solchen bedingten Art und Weise existieren? Der Grund liegt darin, dass wir keine Kontrolle über unseren Geist haben. Wir haben Körper, Rede und Geist, wobei Körper und Rede vollständig unter der Kontrolle des Geistes stehen. Wir selbst aber haben keine Kontrolle über diesen Geist, sondern der Geist macht vielmehr mit uns, was er will. Weil wir keine Kontrolle über unseren Geist haben, gibt es Bedingtes Dasein. Samsara ist also das Resultat des Mangels an Kontrolle über den eigenen Geist.
Und wie beginnt der Weg zur Freiheit? Er beginnt damit, dass wir Schritt für Schritt Kontrolle über unseren Geist gewinnen. Ob wir Kontrolle über unseren eigenen Geist haben oder nicht, kann jeder für sich selbst beurteilen, wenn er ein bisschen beobachtet, was im eigenen Inneren vor sich geht. Dabei sollte man dann erkennen, dass wir eigentlich keine Kontrolle über unseren Geist haben. Weil das so ist, treten in uns Begierde, Hass, Eifersucht und so weiter auf. Dies sind Zustände des Geistes, die eigentlich niemand will - Zustände, in denen wir Traurigkeit erfahren, obwohl wir das nicht wollen, in denen Hass, Ärger, Eifersucht und so weiter auftreten, ohne dass uns das eigentlich lieb ist. Das sind deutliche Zeichen dafür, dass wir keine Kontrolle über unseren Geist haben.
Wenn wir etwas präziser werden, können wir deutlich erkennen, dass wir über das Verhalten des Geistes, über sein Verweilen und Bewegen ebenfalls keine Kontrolle haben. Das merken wir schon, wenn wir versuchen, uns nur auf einen Punkt, auf einen Zusammenhang wirklich zu konzentrieren. Der Geist wird nicht einen Augenblick ernsthaft auf dem Objekt bleiben und sofort auf andere ablenken. Personen, die versuchen zu meditieren, haben am Anfang vor allem das Problem, dass der Geist nicht auf das gewünschte Objekt gerichtet bleibt. Es ist unmöglich, den Geist auf das Objekt zu richten, wie man will.
Zu meditieren gäbe es sehr viel - sehr vieles, worin der Geist geschult, woran er gewöhnt werden könnte. Es gibt verschiedene Erscheinungen der Buddhas zu visualisieren, Qualitäten des Geistes wie Erbarmen und Liebe zu entwickeln, die Leerheit, die Zusammenhänge der Letztlichen Wirklichkeit zu verstehen. All diese Meditationen könnte man ausführen - es gelingt aber nicht, weil der Geist einfach nicht auf das jeweilige Objekt gerichtet bleiben will. Es ist in etwa so wie die Situation eines Kindes, das eine Menge Hausaufgaben hat, aber es gar nicht in Frage kommt, die Hausaufgaben zu machen, weil es nicht im Zimmer bleiben, sondern immer hinaus ins Freie will. Und solange das Kind immer nur draußen sein will, ist der Gedanke daran, Hausaufgaben zu machen, fürs erste einmal ganz außer Sicht. So gäbe es viele Dinge, in denen der Geist entwickelt, an die er gewöhnt werden könnte, die man meditieren könnte, aber weil er nicht auf dem Objekt gerichtet bleiben will, kommt fürs erste einmal eine ernsthafte Gewöhnung des Geistes an diese vielen wertvollen Dinge nicht in Frage.
Alle, die sich ein bisschen in Meditation versucht haben, zum Beispiel, indem sie die Gestalt eines Buddhas visualisierten, kennen dieses Problem, dass man den Geist auf diese Gestalt richten will, er aber einige Augenblicke später schon wieder ganz woanders ist. Niemand mag das, es passiert jedoch einfach so, und zwar, weil wir keine Kontrolle über unseren Geist haben. Fragt man sich, ob der Geist zu nichts anderem fähig ist, dann ist die Antwort: „Nein, das ist nicht der Fall“. Es ist vielmehr durchaus möglich, vollständige Kontrolle über den Geist zu gewinnen und es hat auch schon viele Personen gegeben, die das erreicht haben. Wer immer sich ernsthaft bemüht und die richtigen Mittel anwendet, kann eine solche Kontrolle über den Geist gewinnen, denn der Buddha hat keine Methoden erklärt, die von niemandem verwirklicht werden können.
Der Geist bleibt also nicht auf einen Punkt gerichtet, sondern weicht immer irgendwohin ab. Das ist jedoch nicht das einzige Problem unseres Geistes. Er steht zudem unter negativen Einflüssen, den negativen geistigen Faktoren. Diese Einflüsse stellen zusammen mit der unstabilen Natur des Geistes die Wurzel für alle Probleme dar, die wir und andere erfahren. Auf diese Art und Weise kommt Bedingtes Dasein zustande, und das ist es, was darunter zu verstehen ist.
Man selbst steht also unter der Macht des Geistes. Rede und Körper stehen unter der Macht des Geistes. Der Geist selbst wiederum steht unter der Macht der Verblendungen, und das führt dazu, dass viele unsinnige Gedanken in uns auftreten, die viele unsinnige Handlungen nach sich ziehen. Diese Handlungen erzeugen karmische Eindrücke, Ursachen, die dann entsprechende Erfahrungen mit sich bringen. In dieser Weise vollzieht sich Bedingtes Dasein. So ist es zu verstehen, dass Bedingtes Dasein das Resultat eines unkontrollierten Geistes ist. Die Unwissenheit, das Unverständnis von der wirklichen Art des Bestehens der Objekte und die daraus entstehenden Faktoren wie Begierde, Hass und so weiter ketten uns an Bedingtes Dasein und halten uns von der Freiheit zurück.
Dazu kommt noch die Ichbezogenheit, die uns am Erreichen eines Zustandes der Perfektion, der Allwissenheit, der Erleuchtung abhält. Die Ichbezogenheit ist ein Zustand des Geistes, der sehr tief geht. Er reicht von der groben Ichbezogenheit des Egoismus, wie er in unserem Kontinuum auftritt, bis zu einer ganz subtilen Ichbezogenheit, wie sie selbst in Personen, die Freiheit vom Bedingten Dasein erreicht haben, noch vorhanden ist. Wenn diese subtile Ichbezogenheit noch existiert, führt sie dazu, das ein so tiefes Schätzen der anderen, wie es die Bodhisattvas haben, nicht entstehen kann. Und solange dies nicht der Fall ist, ein so starkes Schätzen der anderen, ein so tiefes, großes Erbarmen gegenüber den anderen in einem nicht auftritt, solange wird es nicht möglich sein, die Volle Erleuchtung zu erlangen.
In dieser Weise sind wir an Bedingtes Dasein gekettet, und so hält uns das Hindernis der Ichbezogenheit von der Vollen Erleuchtung zurück. Die Verblendungen, die solche Wirkungen haben, sind Teile des Geistes, ebenso wie der Geistesfaktor der Ichbezogenheit in seiner groben wie in seiner subtilen Form. Andererseits sind die positiven Faktoren wie Erbarmen, Liebe, Geduld, Weisheit, das richtige Erkennen der Wirklichkeit - die Faktoren, die uns zu Freiheit und Voller Erleuchtung führen - ebenfalls Teile des Geistes.
Person: Benennung auf der Grundlage der Aggregate
So erkennt man, wie wichtig es ist, mit der Arbeit am Zustand des eigenen Geistes zu beginnen und diese Faktoren entsprechend zu korrigieren. Wenn jemand nun beabsichtigt, mit seinem Geist umzugehen und eine solche Veränderung, eine solche Korrektur am eigenen Geist vorzunehmen, dann ist es natürlich sehr wichtig, auch ein klares Verständnis von der Funktionsweise des Geistes zu haben. Stellen wir uns vor, dass der Körper ein Klotz ist, der Geist daneben ebenfalls wie ein weiterer Klotz existiert und interessiert es uns nicht, was seine präzisen Funktionen sind, dann ist das nicht genügend für eine solche Absicht. Der Grund, weshalb Buddha so viele Klassifikationen und Beschreibungen gab, liegt darin, dass ein richtiges Wissen der Funktion des Geistes so wichtig ist.
Als Buddha beschrieb, was die Person ist, hat er deutlich gemacht, dass die Person eine Anhäufung, ein Zusammenkommen von fünf Aggregaten ist und sie als eine Benennung auf der Grundlage eines dieser fünf Aggregate bezeichnet. Was sind nun diese fünf Anhäufungen, diese fünf Ansammlungen oder Aggregate? Sie sind Form, Empfindung, Unterscheidung, zusammensetzende Faktoren und Bewusstsein. Von diesen fünf Aggregaten ist das erste Form, was sich auf den Körper bezieht, und die restlichen vier Aggregate sind Geist. Buddha hat diese Aufteilung in fünf Aggregate gegeben, um diese Fehlauffassung in manchen Leuten zu beseitigen, dass neben dem Körper der Geist als ein kohärentes Stück besteht, dass es also nur ein Stück ist, was als Geist zu sehen ist. Somit ist durch diese Aufzählung von fünf Aggregate, von denen vier Geist sind, eine Unterteilung in vier Teile des Geistes gegeben.
An und für sich wäre es durchaus auch möglich, Empfindung, Unterscheidung und zusammensetzende Faktoren in das Aggregat des Bewusstseins zu nehmen. Das hat Buddha jedoch nicht getan, vielmehr hat er sie als separate Aggregate aufgeführt. Wenn dagegen von Körper und Geist gesprochen wird, dann sind nur zwei Objekte erwähnt, wobei Geist hier gleichzusetzen ist mit Bewusstsein. Gemäß dieser Aufteilung in fünf Aggregate ist das erste Aggregat der Form eine Entsprechung des Körpers. Die weiteren vier Aggregate sind so zu verstehen: Das fünfte Aggregat, das Bewusstsein, ist der zentrale Geist; das zweite und das dritte Aggregat, Empfindung und Unterscheidung, sind Faktoren des Geistes; und das dritte, die zusammensetzenden Faktoren, sind die restlichen Faktoren des Geistes.
Das fünfte Aggregat ist also der zentrale Geist. Das vierte Aggregat, die zusammensetzenden Faktoren, bezieht sich auf die Faktoren des Geistes. Aus dieser Gruppe der Faktoren des Geistes wurden zwei herausgenommen, nämlich das zweite und das dritte Aggregat, Unterscheidung und Empfindung. Wenn man also zusammenfasst, könnte man diese beiden in das vierte hineinnehmen. So wird auch eine Unterteilung in drei Gruppen möglich: das Aggregat der Form, das Aggregat der Faktoren des Geistes und das Aggregat des zentralen Bewusstseins. Buddha gab jedoch eine Aufteilung in fünf und nahm aus diesen Faktoren des Geistes zwei Faktoren, Unterscheidung und Empfindung, speziell als eigene Aggregate heraus, weil diese zwei Faktoren des Geistes eine entscheidende Bedeutung haben. Denn diese ständige Geschäftigkeit der Wesen, diese Notwendigkeit, immer über etwas zu sprechen, zu diskutieren, die verschiedenen Konflikte der Wesen - alles das hat seinen Ursprung darin, dass die Empfindungen, die die Wesen erfahren, und die Unterscheidungen, die sie vornehmen, ihnen nicht passen.
Die Empfindungen, die wir haben, sind entscheidend für das, was wir dann tun. Wir möchten glücklich sein, aber wir sind traurig und deprimiert. Wir haben die Empfindung von Hunger und wollen etwas zu essen, wir haben die Empfindung von Kälte und wollen ins Warme - es sind diese Empfindungen, die zu den verschiedenen Handlungen führen. Und es sind die Unterscheidungen, die uns beschäftigt halten. Der eine sagt: „Das ist gut“, der andere sagt: „Nein, das ist nicht gut, dies ist gut“, und wiederum ein anderer sagt: „Nein, das alles ist nicht gut, etwas anderes ist gut“. Diese Unterscheidungen von gut und schlecht, diese Trennungen des einen vom anderen beschäftigen uns ständig. So sind die Verblendungen im Allgemeinen Ursachen für Bedingtes Dasein, aber ganz besonders verantwortlich sind diese zwei Faktoren des Geistes: Empfindung und Unterscheidung. Das ist der Grund, warum sie als eigene Aggregate aufgeführt werden, obschon es tatsächlich so ist, dass alle vier Aggregate nach dem ersten Aggregat der Form Geist sind.
Man sieht also, dass diese Aufteilung in fünf Aggregate vier Punkte enthält, die Geist sind, um deutlich zu machen, dass Geist nicht ein Stück, nicht ein Klotz, sondern eine Vielfalt ist. In anderen Erklärungen beschreibt Buddha die Person als eine Anhäufung von zwölf Quellen. Buddha gab diese Unterteilung für Personen, die der Meinung sind, dass Körper und Geist jeweils ein Stück sind. Diese zwölf Quellen werden verstanden als die sechs Bewusstseinszustände: das Bewusstsein des Sehsinns, des Hörsinns, des Geruchsinns, des Geschmacksinns, des Tastsinns und des Denksinns; hinzu kommen die sogenannten „sechs Objekte“: die Objekte des Sehsinns, des Hörsinns, des Geruchsinns, des Geschmacksinns, des Tastsinns und des Denksinns. Das ist es, was unter diesen zwölf Quellen zu verstehen ist.
Gemäß dieser Unterteilung hat Form fünf Gruppen: Gestalt, Klang, Geruch, Geschmack und Fühlbares; und der Geist sechs Gruppen: die Sinnesbewusstseine in Bezug auf die fünf äußeren Sinne und als sechstes das Denkbewusstsein. Was dann noch übrig bleibt, ist das, was allgemein als „Objekte“ bezeichnet wird. Darunter versteht man nichts anderes als die Objekte des Denksinns - die vielen Dinge, an die wir denken. Das alles ist in diesem Punkt enthalten, der einfach als „Objekte“ bezeichnet wird. Diese Unterteilung fasst also den Geist in sechs Gruppen und die Form in fünf Gruppen zusammen. So wird deutlich, dass sowohl Form als auch Geist eine Vielzahl sind.
Für andere Schüler hat Buddha noch weitere Unterteilungen in achtzehn Sphären gegeben. Diese achtzehn Sphären sind die sechs Objekte der Sinne, die sechs Organe der Sinne und die sechs Sinnesbewusstseine. Diese Unterteilung macht deutlich, dass sowohl Form als auch Geist eine sehr große Vielfalt sind. Weil ein Verständnis dieser Dinge wichtig ist, hat Buddha sie in solchen Details aufgeführt. Wenn man Unterteilungen des Geistes beschreibt, wird als einfache Unterteilung oft die Unterteilung in sechs Sinnesbewusstseine gegeben, also die fünf Sinnesbewusstseine der äußeren Sinne und als sechstes das Denkbewusstsein. Das ist eine allgemeine Unterteilung oder Klassifikation des Geistes.
Eine weitere Art, den Geist zu klassifizieren, ist die Unterteilung in zentralen Geist und Faktoren des Geistes. Bei dieser Unterteilung kann die Zahl der Geistesfaktoren unter Umständen auch sehr groß sein. Zusammengefasst werden diese Faktoren des Geistes als „Die einundfünfzig Geistesfaktoren“ beschrieben, da es etwa einundfünfzig wichtigste Faktoren des Geistes sind, die unser heilsames und unheilsames Verhalten entscheidend beeinflussen.
Das sind alles Unterteilungen des Geistes, die einem unter anderem auch deutlich machen, dass Geist nicht einfach aus einem Stück ist. Fragt man sich aber, was die Natur aller dieser Teile des Geistes ist, lautet die im Buddhismus gegebene Antwort:
Der Geist ist klar und erkennend.
Auf alle Teile des Geistes trifft diese allgemeine Aussage zu, ganz gleich, ob es sich um einen heilsamen oder um einen unheilsamen Geisteszustand handelt, um einen zentralen Geis oder um einen Faktor des Geistes. Wenn es hier heißt „klar und erkennend“, dann bedeutet das nicht, dass der Geist leuchtet oder strahlt, sondern vielmehr, dass er keinerlei materielle Aspekte hat und in seiner Natur leer oder frei von ihnen ist. Und das bedeutet nichts anderes, als dass der Geist keine Gestalt, keine Farbe, kein Gewicht hat und dass er keine Anhäufung von Atomen ist. Weil der Geist so nicht existiert, wird seine Natur als „klar“ bezeichnet.
Die Natur des Geistes ist es also, klar zu sein. Und was ist die Funktion des Geistes? Die Funktion des Geistes ist es, erkennend zu sein. Klar zu sein mit der Bedeutung, keine materiellen Aspekte zu besitzen, ist keine Eigenschaft, die nur der Geist hat. Es gibt auch andere Objekte, die eine solche Eigenschaft haben. Der leere Raum zum Beispiel ist ebenfalls klar. Auch er hat keine materiellen Aspekte und ist keine Anhäufung von Atomen. Der Geist ist jedoch in seiner Art nicht gleich wie der leere Raum, da es seine besondere Funktion ist, erkennend zu sein. Der Geist erfastt immer ein Objekt. Ob er es nun richtig erfasst oder nicht, mag dahingestellt sein - ein Zustand des Geistes wird jedoch immer ein Objekt erfassen.
Der Geist ist auch deshalb nicht vergleichbar mit dem leeren Raum, weil der leere Raum ein unveränderliches und nicht zusammengesetztes Objekt ist, während der Geist im Gegensatz dazu ein veränderliches und zusammengesetztes Objekt ist. Unter „Raum“ versteht man ein Objekt, das von anderen materiellen Objekten leer ist, die Verneinung, das bloße Nichtvorhandensein von Berührbarem und die Bewegung Behinderndem. Dieser Tisch zum Beispiel nimmt an dieser Stelle den Raum weg. Nehmen wir diesen Tisch weg, dann haben wir an der Stelle nichts anderes als das Leersein von einem materiellen Objekt, sein Nichtvorhandensein. Dieses Nichtvorhandensein von Berührbarem ist das, was als „Raum“ bezeichnet wird. Etwas, das diese Eigenschaft hat, ist in seiner Natur weder zusammengesetzt noch unbeständig. Ähnlich wie der Raum hat der Geist keine Gestalt und keine Farbe. Anders als der Raum jedoch ist er unbeständig und zusammengesetzt.
Wenn es heißt, der Geist sei zusammengesetzt, mag man sich vielleicht fragen, ob er ähnlich zusammengesetzt ist wie die materiellen Objekte, die eine Anhäufung von Partikeln darstellen. Dies ist zu verneinen. Mit der Aussage, der Geist sei zusammengesetzt, ist gemeint, dass er eine Zusammensetzung vieler augenblicklicher Zustände ist. Auf der Grundlage vieler solcher geistiger Augenblicke sprechen wir vom Geist als einem Objekt. Die eigentliche Natur des Geistes ist es, von einem Augenblick zum anderen Veränderungen zu unterliegen. Dies ist so, weil er ein zusammengesetztes Objekt und so wie alle zusammengesetzten Objekte unbeständig ist, gemäß der Lehre des Buddha, die besagt, dass alles Zusammengesetzte unbeständig sei.
Dieser Tisch zum Beispiel ist auch etwas Unbeständiges, auch ein zusammengesetztes Objekt, aus vielen Partikeln bestehend. Uns erscheint es so, als ob der Tisch immer da bliebe, immer gleich wäre. In Wirklichkeit ist er jedoch auch ein Objekt, das augenblicklicher Veränderung unterliegt, ein Objekt, das einen Augenblick so besteht und dann vergeht. In entsprechender Weise ist der Geist eine Anhäufung vieler geistiger Augenblicke, die nicht gleich bleiben, sondern schon im nachfolgenden Moment einer Veränderung unterliegen.
Was bleibt dann also vom Geist? Dieses Bleibende ist lediglich die Kontinuität, der Fluss. Wenn wir einen Fluss betrachten, denn haben wir auch den Eindruck, dass er immer gleichbleibend dort an seiner Stelle ist. In Wirklichkeit ist er nicht länger als einen Augenblick im gleichen Zustand, sondern dort wo wir hinsehen, ist jeden Augenblick anderes Wasser. Genauso ist es mit allen anderen zusammengesetzten Objekten, all diesen Dingen, mit denen wir täglich zu tun haben: Wir haben den Eindruck, dass das gleiche Ding jeden Tag unverändert dort ist, in Wirklichkeit ist jedoch nur seine Kontinuität da. Genauso verhält es sich mit dem Geist. Auch bei ihm hat man den Eindruck, dass er immer der Gleiche ist, obschon tatsächlich nur seine Kontinuität weiterbesteht.
Der Geist hat also die Eigenschaft, keinerlei Form und Farbe zu haben, so wie der leere Raum. Im Gegensatz zum Raum, der beständig und unveränderlich ist, ist der Geist jedoch zusammengesetzt und unterliegt ständiger Veränderung. So bleibt der Geist nur einen Augenblick im gleichen Zustand. Unter einem Augenblick versteht man eine sehr kurze Zeitspanne. Sie wird beschrieben als der fünfundsechzigste Teil der Dauer des Klangs, der beim Schnalzen der Finger entsteht. In einer solchen kurzen Zeitspanne entsteht der entsprechende Zustand des Geistes. Er verweilt jedoch nicht, sondern ist im nächsten Augenblick schon wieder vergangen. Und was bleibt dann? Das Auftreten des ersten Augenblicks des Geistes erzeugt das Auftreten des nächsten Augenblicks und so weiter, wodurch ein solcher Fluss von augenblicklichen Zuständen des Geistes entsteht. Lediglich dieser Fluss, diese Kontinuität bleibt.
Wir haben den Eindruck, dass unser Geist von gestern auf heute noch da ist, dass der Geist vom letzten Jahr auch heute noch existiert. Dies ist lediglich eine getäuschte Auffassung. Das einzige, was bleibt, ist die artähnliche Kontinuität. Der Zustand des Geistes von gestern oder vom letzten Jahr ist schon lange vergangen. Der Geist eines neugeborenen Kinds weiß nichts, im Gegensatz dazu haben wir jetzt den Eindruck, dass wir einiges mehr wissen, was ein deutlicher Unterschied ist.
Es ist also die Eigenschaft eines jeden Geistes, vom einen zum anderen Augenblick einer Veränderung zu unterliegen, aber auch der Fluss von augenblicklichen Zuständen selbst unterliegt starken Veränderungen. Im Allgemeinen haben alle zusammengesetzten Objekte die Eigenschaft, einer ständigen Veränderung zu unterliegen, die materiellen Objekte sind in ihrer Art, Veränderungen zu erfahren, etwas schwerfälliger als Geist. Die groben materiellen Objekte unterliegen zwar einer ständigen augenblicklichen Veränderung, ihre groben äußeren Veränderungen treten jedoch nicht so schnell auf. Der Geist hingegen ist ein Objekt, das nicht eine Anhäufung solcher materieller Partikel ist, so dass sich nicht nur die subtilen augenblicklichen Veränderungen ständig ereignen, sondern auch die gröberen Veränderungen des Geistes sehr schnell ablaufen.
Der Geist ist, weil er keine Anhäufung materieller Partikel ist, etwas sehr Flexibles und auch sehr Instabiles. Folgende Analogie mag dies veranschaulichen: Wenn wir alte mechanische mit heutigen elektronischen Maschinen vergleichen, dann ist das Verhalten der alten mechanischen Maschinen etwas schwerfälliger im Vergleich zu den etwas subtileren elektronischen Maschinen von heute. So unterliegen die materiellen Objekte durchaus Veränderungen, auch grober Art, wie zum Beispiel der Körper in recht deutlicher Weise, aber dennoch ist ihre Geschwindigkeit langsam und schwerfällig im Vergleich zu den ständigen Veränderungen des Geistes. Der Geist ist äußerst flexibel und erfährt von einem zum anderen Augenblick in kurzer Zeit sehr grobe Veränderungen.
Dies ist auch der Grund, warum eine korrekte Führung des Geistes bei der Anwendung von Dharma auch in sehr kurzer Zeit außerordentliche Veränderungen und erstaunlich große Entwicklungen erzielen kann. Da der Geist ein besonders subtiles Objekt ist, das sehr starke Wirkungen möglich macht, ist er ohne Zweifel in der Lage, solche erstaunlichen, überraschenden Qualitäten wie Allwissenheit oder erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit zu erreichen. Und ebenfalls weil er ein sehr subtiles Objekt ist, ist es wesentlich leichter, den Geist zu entwickeln als den Körper.
Zusammenfassend können wir also sagen: Die Natur des Geistes ist klar und erkennend. Klar, weil er keine Anhäufung von materiellen Partikeln ist, erkennend, weil er immer Objekte erkennt. In der Unterteilung zwischen Objekt und Objektbesitzer ist der Geist der Objektbesitzer. Wenn von „Objektbesitzer“ gesprochen wird, wird deutlich, dass das Objekt und der Besitzer dieses Objekts voneinander abhängig sind. Man kann also nicht von einem Objektbesitzer sprechen, wenn kein Objekt vorhanden ist, und genauso wenig von einem Objekt, wenn kein Objektbesitzer vorhanden ist. Diese beiden sind gegenseitig voneinander abhängig. Wenn wir also sagen, dass der Geist erkennend ist, dann ist das immer ein Erkennen des Objektes. Somit können wir nur von Geist sprechen, wenn auch ein Objekt vorhanden ist. Der Geist nimmt unterschiedliche Zustände der Feinheit an, von ganz groben bis zu allerfeinsten. Alle diese Zustände haben immer ein Objekt.
Das ist also darunter zu verstehen, dass der Geist erkennend ist. Wenn es dann heißt, dass der Geist klar, nämlich keine Anhäufung von materiellen Partikeln ist und weder Farbe noch Form hat, dann wird auch deutlich, dass er kein Teil des Körpers sein kann. Die sechs Sinne, die die Grundlage für die Sinnesbewusstseine darstellen, sind zunächst die fünf äußeren Sinne, die ein entsprechendes materielles Organ als Grundlage haben: der Seh-, Geruchs-, Hör-, Geschmacks- und der Tastsinn. Der sechste Sinn ist der Denksinn. Hier gibt es kein materielles Organ, vielmehr wird der Geist selbst als Organ für das Denkbewusstsein gesehen.
Das Seh-Bewusstsein ist also ein Zustand des Geistes, demnach klar und erkennend, ohne Farbe, Form und so weiter. Es beruht jedoch auf einem Organ, dem Sehsinn. Dieser Sehsinn ist ein subtiles körperliches Organ, eine subtile Form, die sich im Inneren des groben Augapfels befindet. Diese subtile Form ist das Organ des Auges, auf dessen Grundlage das Seh-Bewusstsein auftritt. Entsprechend haben alle weiteren äußeren Sinnesbewusstseine ihre Grundlage in einem körperlichen Organ, abgesehen vom sechsten, dem Denksinn. Die Grundlage des Denkbewusstseins ist sein augenblicklich vorhergehender Zustand. Der nachfolgende Augenblick entsteht als Resultat des vorhergehenden Augenblicks, somit ist der vorhergehende Augenblick seine Grundlage und kann deshalb als sein Organ bezeichnet werden. Die Grundlage des Denkbewusstseins ist also kein physisches Organ: nicht das Herz, nicht die Lunge und so weiter.
Manch einer mag nun denken, dass unser Gehirn eine sehr enge Verbindung mit unserem Geist hat, doch auch das Gehirn ist nicht das Organ des Denkbewusstseins. Fragt man sich, ob das Gehirn keinerlei Verbindung mit dem Geist hat, dann ist die Antwort: „Es hat durchaus eine sehr enge Verbindung mit dem Geist“. Das Denkbewusstsein hat zwar kein solches spezifisches Organ als Grundlage wie zum Beispiel das Seh-Bewusstsein im Organ des Auges, andererseits kann man wiederum viele Grundlagen sehen, die für das Denkbewusstsein verantwortlich sind. Es ist also nicht ein einzelnes Organ, das die Grundlage des Denkbewusstseins darstellt, sondern eine Vielzahl von Organen. So ist auch das Gehirn eng mit dem Denkbewusstsein verbunden, was sich zum Beispiel darin zeigt, dass auch das Denkbewusstsein schwer in Mitleidenschaft gezogen ist, wenn das Gehirn Schaden erleidet.
Geist, Körper und subtile Energien
Wir haben ja soweit sicherlich erkannt, dass der Geist ein außerordentlich wichtiges Objekt ist, und entsprechend wird dieses Thema im Buddhismus auch in sehr genauer und ausführlicher Weise behandelt. In den Unterweisungen des Abhidharma zum Beispiel findet man sehr umfangreiche Beschreibungen des Geistes. Die präzisesten Beschreibungen der Funktionen des Geistes gibt es jedoch in den Tantras. Die Unterteilungen des Geistes im Abhidharma und im Tantra unterscheiden sich deutlich voneinander.
Im Abhidharma wird der Geist unterteilt in zentralen Geis und Faktoren des Geistes, in korrekten und fehlerhaften Geisteszustand, heilsamen und unheilsamen Geist und so weiter. Dies sind äußerst bedeutungsvolle Aufgliederungen. Die Tantras unterteilen den Geist vor allem in Bezug auf ihre Feinheit von groben zu subtilen bis hin zu allersubtilsten Geisteszuständen. Dementsprechend finden sich hier solche Unterscheidungen wie „Geist im wachen Zustand“, „Geist im Traumzustand“, „Geist im Schlafzustand“, „Geist im Todeszustand“ und so weiter. Auch der Prozess des Todes wird weiter in vier Feinheiten aufgegliedert: „Geist des Erscheinens“, „Geist des Zunehmens“, „Geist des Erlangens“, bis hin zum „Geist des Klaren Lichtes“. Diese Abstufungen des Geistes beziehen sich auf immer feiner werdende Zustände des Denkbewusstseins, die unterschiedliche Organe als Grundlage haben.
Zweifellos haben diese Geisteszustände eine enge Verbindung mit unserem Körper. Der Geist kann den Körper beeinflussen, der Körper beeinflusst aber auch den Zustand des Geistes. Wie jedoch wird diese enge Verbindung hergestellt, wenn der Körper ein äußerst grobes materielles Objekt ist, der Geist hingegen ein Objekt gänzlich frei von Materie? Diese Brücke erstellen die sogenannten subtilen Energien. In den Sutras findet man Erklärungen dieser subtilen Energien, die präzisesten Beschreibungen sind jedoch in den Tantras enthalten.
Wie ist nun die Verbindung des Geistes zum Körper zu sehen? Der Geist wirkt auf den Körper über die subtilen Energien, denn Geist und subtile Energien sind in gegenseitiger Weise voneinander abhängig. So führt der Geist seine Funktionen auf der Grundlage der subtilen Energien aus. Ohne sie könnte er nicht funktionieren. Die Analogie aus den Schriften hierzu beschreibt die subtilen Energien als das Reittier oder das Fahrzeug des Geistes. In den Tantras heißt es, dass der eigentliche, der subtilste Körper aus diesen subtilen Energien besteht. Die Verbindung zwischen Körper und Geist ist also in erster Linie die Verbindung zwischen dem Geist und diesen subtilen Energien. Die Verbindung zu unserem groben Körper gibt es im Moment zweifellos auch, sie ist allerdings sehr temporär und bricht mit dem Tod ab, während die Verbindung zwischen dem Geist und den subtilen Energien niemals endet. Der Geist funktioniert im Moment zusammen mit unserem Körper auf der Grundlage der subtilen Energien, er verlässt den Körper aufgrund der subtilen Energien, und auch das Nehmen der Wiedergeburt ist eine Wirkung der subtilen Energien, die ständig mit unserem Geist in Verbindung sind.
Nimmt man eine Klassifikation der subtilen Energien vor, um sie Geist oder Form zuzuordnen, dann gehören sie in den Bereich der Form, allerdings zur subtilsten Art von Form. Sie stehen in Verbindung mit ganz spezifischen Teilen unseres Körpers, vor allem mit dem subtilen Nervensystem, um so ihre verschiedenen Funktionen auszuführen. Die subtileren Teile unseres Körpers bilden also eine Grundlage für die Funktionen der subtilen Energien. In den Tantras werden deshalb sogenannte subtile Kanäle beschrieben. Das sind nicht so grobe Kanäle wie die Adern, die unseren Körper durchziehen, sondern wesentlich subtilere Arten von Kanälen. In Verbindung mit diesen subtilen Kanälen wirken die subtilen Energien.
Der Geist des wachen Zustandes, der Geist des Traumzustandes, der des Schlafzustandes und auch der Geist des Todeszustandes haben alle einen ganz spezifischen Ort im Körper, an dem sie verweilen. Diese Quellen, diese Heimatorte oder diese zentralen Orte, wo sich die subtilen Energien im Körper befinden, sind die sogenannten „Tropfen“, „tigle“ auf Tibetisch oder „Bindhu“ auf Sanskrit. Dabei handelt es sich nicht um Tropfen von der Größe eines Wassertropfens, sondern eher der Größe von Zellen.
Die subtilen Energien führen also ihre Funktionen über die subtilen Kanäle und solche Tropfen oder Punkte aus. Entsprechend gibt es auch spezielle Punkte, die in Verbindung stehen mit dem Geist des Wach-, Traum-, Schlaf- und Todeszustandes. So hat der Geist des wachen Zustandes seine spezifischen subtilen Kanäle und seinen spezifischen Punkt, die sich im Gehirn befinden. Die Tantras bestimmen diesen zentralen Ort des Wachzustands im Zentrum des Scheitels. Die subtilen Energien und Punkte des Geistes im Traumzustand haben ihren zentralen Ort im Zentrum des Halses, während sich der Zentralort der subtilen Energien des Geisteszustands im Tiefschlaf in den subtilen Kanälen und Punkten des Herzzentrums befindet, wobei darunter nicht das physische Herz zu verstehen ist, sondern ein Punkt im Zentrum des Körpers etwa auf der Höhe des Herzens.
Wollten wir alle diese Dinge erklären, müssten wir das Thema dieses Seminars ändern und wir würden wir nur noch über Tantras und subtile Kanäle sprechen. Hier mag der Hinweis darauf genügen, dass es diese Erklärungen über die Funktionsweise des Geistes gibt. Sie sind im Buddhismus nicht erst neu entstanden, um mit wissenschaftlichen Erkenntnissen übereinzustimmen, sondern vielmehr in den Tantras schon seit Tausenden von Jahren enthalten.
Das Gehirn hat also eine sehr enge Verbindung mit dem Geist und Störungen oder Fehler am Gehirn können auch entsprechend schwere Fehler im Denkbewusstsein auslösen. Doch selbst eine Person, dessen Gehirn vollständigen Schaden erlitten hat, macht noch geistige Erfahrungen. Die Person mag vielleicht in einem Zustand sein, wo sie keine klaren Gedanken mehr fassen kann, wie sie ein gesunder Mensch kennt, sie kann vielleicht auch nicht mehr sprechen und hat auch keine anderen Wahrnehmungen mehr - sie macht jedoch nach wie vor Erfahrungen und hat geistige Aktivitäten.
Abgesehen von einem solchen Zustand sind auch im Prozess des Todes an dem Punkt, wo der Atem aufgehört hat und somit keine äußeren Zeichen mehr vorhanden sind, die Erfahrungen, die der Sterbende macht, noch nicht beendet. Nach dem Aufhören des Atems folgen noch vier weitere Vorgänge des Geistes, die der Sterbende als geistige Erfahrungen macht. Hierfür existieren Belege, denn es gibt Mönche, besonders Meister, die nach dem Aufhören ihres Atems im Prozess des Todes durchaus noch eine Woche in Meditation verweilen. Die Aktivitäten des Gehirns und die anderen Funktionen des Körpers haben zu diesem Zeitpunkt vollständig aufgehört, aber dennoch ist geistige Aktivität in diesem Zustand vorhanden, und das nicht nur irgendwelcher Art, sondern in Form von sehr tiefer Meditation. Dies sind keine alten Geschichten, und es steht nicht nur in den Schriften, dass es so etwas gibt, sondern diese Dinge kann man auch heute noch beobachten, so dass auch ich davon berichten kann.
Die subtilen Zustände des Geistes können also auch an dem Punkt noch funktionieren, wo keine Verbindung mehr mit den Organen des Körpers vorhanden ist. Im letzten Punkt der Auflösung, der als „Zustand des Klaren Lichts“ bezeichnet wird, sind lediglich einige subtile Kanäle im Herzzentrum und der Punkt im Herzzentrum noch intakt. Der subtilste Zustand des Geistes der erwähnten Meister verwendet diesen Teil des Körpers, um entsprechende Meditationen auszuführen. Zu diesem Zeitpunkt ist keinerlei Aktivität des Gehirns mehr vorhanden, die Person ist jedoch noch nicht tot.
Davon abgesehen gibt es auch Menschen, die ohne Gehirn geboren werden, wie es manchmal in Kliniken zu beobachten ist. Ein solches Wesen hat keine äußeren Aktivitäten wie ein gesunder Mensch. Diese Person macht trotz des fehlenden Gehirns durchaus geistige Erfahrungen. Es ist demnach zwar richtig, dass der Geist eine enge Verbindung mit dem Gehirn hat, doch zu behaupten, dass der Geist ein Teil des Gehirns oder eine Funktion des Gehirns sei, ist gänzlich falsch. Allgemein gesagt ist die Natur des Geistes, wie zuvor erwähnt, klar und erkennend. Das bedeutet, dass der Geist die Eigenschaft hat, kein materielles Objekt zu sein, dass er frei von Farbe und Form ist, und ein zusammengesetztes Objekt ist, unbeständig ist, und die Eigenschaft hat, immer ein Objekt zu erkennen.